Wolfgang Baxrainer, Aquarelle und Malkurse Hier erfahren Sie alles, wirklich alles über die Aquarellmalerei - von den Grundlagen bis zu unglaublichen Praxis-Tipps und Tricks

Die Linearperspektive - Teil 1

Auch wenn ich (wie übrigens die meisten Aquarellisten) sage, dass das Sehen viel wichtiger als das Detailwissen um die (Linear-)Perspektive ist, kommen wir ohne dieser aber nicht aus. Wir können zwar nur mit der Luft- und Farbperspektive räumliche Wirkung erzielen - aber wenn nur eine einzige Linie bei z.B. einem Haus nicht stimmt (beispielsweise bei einem Fenster, Türe, Balkon etc.), so kann diese eine falsche Linie das gesamte Bild verderben, ja sogar zur dilettantischen Arbeit degradieren.


Bevor wir uns aber mit den wichtigsten (und meiner Meinung nach absolut ausreichenden) perspektivischen Richtlinien befassen, will ich versuchen, Ihnen die bedeutendsten Grundsätze des "Richtigen Sehens" nahezubringen.

Manche moderne Künstler verzichten zur Gänze auf die Perspektive oder verzerren sie, obwohl sie die Perspektive beherrschen. Ich kenne einige dieser Leute und schätze sie sehr.

Es gibt aber auch sog. "moderne" Bilder, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob das Nichtbeachten der Perspektive wirklich gewollt ist oder es auf Unvermögen beruht...

Es ist wichtig zu wissen, dass die Dreidimensionalität einer Zeichnung oder eines Bildes, die unser Auge wahrnimmt, eine reine optische Täuschung ist, die deshalb funktioniert, weil der Betrachters es gelernt hat, diese optische Täuschung als Tiefenwirkung anzunehmen. Wir alle kombinieren das Gesehene mit Hilfe der (angelernten Erfahrung - und so "erkennt" unser Gehirn den Eindruck des Plastischen Dreidimensionalen. Wir müssen Regeln erlernen, die es uns erlauben Striche so zu positionieren, dass ein ähnlicher Eindruck der bekannten Realität entsteht.

Wir müssen uns also an Regeln halten (welche seit Albrecht Dürer immer noch Gültigkeit haben), und Linien von Gebäuden oder Gegenständen so anordnen, dass der Eindruck der Dreidimensionalität entsteht.


Tipps und Tricks zum "Richtigen Perspektivischen Sehen" :

Wenn ich mit Malgruppen im Freien male, ist dies alles relativ einfach - weil ich diese "Techniken" nicht nur vorzeigen und erläutern kann, sondern weil auch die praktische Umsetzung unmittelbar möglich ist.

Gebäude, Gegenstände, aber auch Wege, Flüsse usw. laufen in der perspektivischen Darstellung nach hinten zusammen.
Wenn Sie ein Gebäude exakt von vorne, also frontal sehen, gibt es keinerlei perspektivische Probleme. Ist aber vom Betrachterstandpunkt aus auch eine Seite des Gebäudes zu sehen - oder Sie sehen gar genau auf eine Ecke des Hauses, so laufen die Linien schräg nach hinten zusammen und treffen sich an den Fluchtpunkten (dazu später mehr).

Es geht also darum, die Schräge der Linien zu erkennen bzw. zu sehen.

Es gibt mehrere einfache Methoden, dies festzustellen:

 

Feststellen des Neigungsgrades mit einem Bleistift oder Pinsel:.

Sie haben dieses Bild sicher schon gesehen:

Man hält einen Bleistift mit ausgestreckter Hand zuerst waagrecht zum Gebäude bzw. Objekt (das kann ja auch eine Mauer, eine Kiste oder ein LKW sein) - anschließend an die schräg zurück laufende Linie und schätzt den Grad der Neigung ein bzw. merkt sich exakt den Unterschied zur gedachten waagrechten Linie.

Dies wird dann auf das Papier übertragen. Das macht man mit allen Linien einer Objektseite so. Sind dort z.B. Fenster sichtbar, so zeichnet man auch Hilfslinien für die Ober- und Unterkanten dieser Fenster.

 Männer tun sich dabei durchwegs leichter als Frauen, für Techniker ist dies meist überhaupt kein Problem.

Es erfordert sehr viel Übung und Erfahrung, die genaue Neigung auf das meist auf den Oberschenkeln liegende Papier zu bringen. Fast immer verändert man dabei unbewusst den Neigungswinkel - und nichts stimmt mehr. Dies passiert allen Anfängern (und nicht nur diesen) immer wieder...

  Stellen oder halten Sie den Skizzenblock (bzw. das Aquarellpapier) absolut senkrecht - dann können Sie zur Kontrolle des Neigungsgrades den Bleistift nur leicht versetzt auf das Papier halten. So funktioniert's selbst bei Anfängern an Anhieb.

Auch ein sauber ausgeschnittener "Motivsucher" aus Pappe (oder ein alter Dia-Rahmen) leistet hier wertvolle Dienste, vorausgesetzt, er wird gerade gehalten. Man kann dann die Neigung im Verhältnis zum waagrechten bzw. senkrechten Ausschnitt sehr gut erkennen.


Hilfsmittel zur Feststellung des Neigungswinkels:

Für Anfänger ganz besonders praktisch: Ein selbstgebastelter "Winkelmesser" aus zwei Gliedern eines Maßstabes. Dazu zersägt man einfach einen (alten) Maßstab, Bastler entfernen einfach eine Niete.

Mit diesem Tool ist es wirklich ganz einfach, den Winkel der nach hinten (zum Fluchtpunkt) laufenden Linien festzustellen. Dazu hält man diesen Winkelmesser so, dass der senkrechte Teil exakt an eine senkrechte Kante (z.B. Hauskante) gehalten wird. Jetzt erst wird mit dem anderen Teil der Winkel so eingestellt, dass er sich mit der nach hinten führenden Linie deckt.

Anschließend kann der "Winkelmesser" vorsichtig zur Kontrolle auf das Papier gelegt werden.

Achten Sie auch darauf, dass der senkrechte Teil (der Teil, den Sie in der Hand halten) immer exakt an eine senkrechte Kante gehalten wird.

Tun Sie das nicht, ist die ganze Mühe umsonst. Leider gibt es immer wieder Leute, die dieses geniale Hilfsmittel nicht richtig, oder schlampig verwenden. Schade.

  Verwenden Sie NIEMALS diesen Maßstab als Ersatzlineal.
Zeichnen Sie immer ohne Lineal! Auch wenn Sie vorerst "keinen geraden Strich" zustande bringen - ein wackeliger oder zittriger Strick ist allemal schöner und lebendiger, als "künstliche", mit dem Lineal gezogene Linien.

 

Das Messen - abschätzen von Größenverhältnissen:

Die richtigen Größenverhältnisse darzustellen ist oft gar nicht leicht. Immer wieder fällt mir auf, dass auch versierte Maler hier ungenau arbeiten. Enorm wichtig ist das stimmige Größenverhältnis für die Wiedererkennbarkeit von Gebäuden, Gassen oder Stadtansichten.

Dabei ist das wirklich einfach, wenn man die beiden Grundregeln für das Messen und Visieren beachtet:

  • Mit ausgestrecktem Arm (mit fest durchgedrücktem Ellbogen!) und
  • mit einem Auge das Objekt anvisieren!

Mache ich das nicht, verändern und verschieben sich die Maße und nichts stimmt mehr. So einfach das ist - hier werden immer wieder Fehler gemacht, wie ich seit vielen Jahren beobachten kann.

Wo messe und visiere ich? Einige Anwendungsbeispiele:

Ich zeichne ein Haus.

  • Wie breit ist das Haus im Verhältnis zur Höhe?
  • Wie hoch ist der Dachgiebel im Verhältnis zur Höhe der Türe?

Also messe ich mit gestrecktem Arm (und einem Auge!) die Höhe (z.B. bis zur Dachunterkante) und lasse den Daumen am Bleistift.
Jetzt kontrolliere ich, wie oft diese gemessene Höhe in die Hausbreite passt. 2 mal, 2 1/2 mal, etwa knapp 3 mal?
Dann nehme ich als neue Maßeinheit die Höhe des Türstockes und kontrolliere wiederum, wie oft dieses Maß in eine gedachte Querlinie von der Dachunterkante bis zum Giebel passt. Und das immer mit durchgestrecktem Arm und nur einem Auge!

Oder:

Ich zeichne einen Kirchturm.

  • Wie hoch ist der Kirchturm im Verhältnis zur Breite des Turmes? Oder:
  • Wie hoch ist der Kirchturm im Verhältnis zur Breite der gesamten Kirche?
  • Wie hoch ist die Turmspitze im Verhältnis zur Breite der Turmes?

Oder:

Ich zeichne eine Häusergruppe.

  • Wie hoch ist das kleinere Haus im Verhältnis zum Großen?
  • Wie groß ist der Abstand zwischen den Häusern im Verhältnis zu......

 
 Im Verhältnis zu...

Suchen Sie sich also immer ein kleineres Vergleichsmaß (Türhöhe, Turmbreite, Haushöhe usw. - je nach Sujet) um auszuloten, wie oft das in einer anderen, grösseren Maßeinheit Platz hat.

Das ist gar nicht schwierig und gelingt eigentlich immer, vorausgesetzt, sie visieren immer mit durchgestrecktem Arm und schliessen dabei ein Auge. Das ist definitiv enorm wichtig - auch wenn's schon langsam fad wird..… 
 


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